Eigentlich
existiert der Begriff „Kuscheljustiz“ nicht in meinem Wortschatz. Denn
ich bin ein Anhänger unseres schweizerischen Straf- und Jugendstrafrechts. Ich
bin überzeugt, dass es wichtig ist, Täter zu resozialisieren anstatt lediglich
aus Sühne einzusperren. Bei all der Polemik, welche man täglich in den
Zeitungen liest, ist dies aber nicht ganz einfach und letztens habe ich mich
doch dabei erwischt, wie mir dieses Wort beim Lesen der Berichterstattungen
über den Fall „Carlos“ durch den Kopf schoss. Ich versuchte mich zu ernüchtern
und las alle möglichen Berichte über den Fall, um mir ein neutraleres Bild
machen zu können. Trotzdem dachte ich weiterhin an den Begriff.
Der Resozialisierungsgedanke und das täterspezifische
Arbeiten mit jugendlichen Straftätern sind mitunter dafür verantwortlich, dass
wir in der Schweiz eine relativ geringe Rückfallquote haben. Die Meisten
erscheinen allerhöchstens zwei Mal in ihrem Leben vor einem Jugendstaatsanwalt.
Doch da sind noch die Intensivtäter,
zu welchen „Carlos“ gehört. Was tut man, wenn sehr viele Versuche, einen
Jugendlichen zu resozialisieren scheitern? Wie viel sind wir dann noch bereit
zu investieren, wenn überhaupt nichts mehr nutzt? Es scheint, als habe die
Jugendstrafrechtspflege im Fall „Carlos“ resigniert und sich ihm unterworfen.
Er erhält eine 4.5-Zimmer-Wohnung mit Betreuung, alle Markenkleider und
–produkte, die er möchte und einen persönlichen Thai-Box Trainer. Zu Recht muss
man sich hier fragen: Was hat dies mit Resozialisierung zu tun? Müsste es denn
nicht so sein, dass ein Straftäter wieder auf das echte Leben vorbereitet wird?
Denn das würde bedeuten, dass er einen Beruf erlernt und sich damit in die
Arbeitswelt integriert. Die Fernsehberichterstattung im Schweizer Fernsehen wirkte
dann doch eher wie „Carlos und sein Hofstatt von Dienern“ auf mich.
Die heutigen gesetzlichen Regelungen ermöglichen der
Jugendstrafrechtspflege 288 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten von Strafen
und Massnahmen. Dies ist nötig, um den einzelnen Akteuren der Justiz ein täterspezifisches
Handeln zu ermöglichen. Denn nicht jeder jugendliche Täter delinquiert aus
denselben Motiven. Auch der Lebenshintergrund unterscheidet sich von Bub zu Bub
und von Mädchen zu Mädchen. Die Massnahmen dürfen jedoch nur bis zum 22.
Altersjahr durchgesetzt werden. Was tut man nun mit Intensivtätern, welche
innerhalb der nützlichen Zeit nicht zu bessern sind? Aus einer Torschlusspanik
heraus ein Sondersetting zu errichten, in welchem er alles haben darf, was er
möchte, ist in meinen Augen nicht der richtige Weg. Denn so wird er nie
erlernen, wie man konform in normalem Umfeld lebt. Vielmehr müssten genau bei
diesen Intensivtätern die Massnahmen verlängert werden können und zwar bis zum
Erreichen ihres Zwecks. Der Jugendliche wäre somit gezwungen, seinen Teil zu
seiner Besserung beizutragen, da dies der einzige Weg für ihn raus aus der
staatlichen Aufsicht bedeuten würde. Die heutige Gesetzeslage führt lediglich
dazu, dass eine intensive Massnahme irgendwann, noch vor Erreichen des Zwecks unterbrochen
werden müsste, was dem Sinn des Jugendstrafrechtes in sich selber widerspricht.
Wir müssen aber auch vorsichtig sein. Der Fall Carlos hat
neues Wasser auf Mühlen derer geschüttet, welche dafür einstehen, das
Jugendstrafrecht insgesamt zu
verschärfen. Dies stellt einen schädlichen Angriff auf dieses sonst sehr gut
funktionierende Konstrukt dar. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass
Jugendliche nicht mit der gleichen Rationalität wie Erwachsene handeln und
dürfen sie daher auch nicht gleich behandeln. Nichts desto trotz sollten wir darüber nachdenken,
wie wir das Problem mit den Intensivtätern lösen, da wir dafür noch keine
gesetzliche Grundlagen haben.
Wir tun dies am besten, in dem wir die Möglichkeit einer verlängerten
Jugendmassnahme schaffen. Denkbar wäre es auch eine Strafe zu Gunsten der
Massnahme aufzuschieben und diese bei Nichterreichen des Zwecks zu vollziehen
oder geeignete Überwachungsmassnahmen zu erlauben.
Wir werden nicht verhindern können, dass es weiterhin
Jugendliche wie Carlos geben wird. Denn Kriminalität ist etwas, was man in
gewissem Masse in Kauf nehmen muss. Es kann lediglich etwas dafür getan werden,
die Bevölkerung vor Menschen wie ihm zu schützen. Indem wir unser Bewährtes
Jugendstrafrecht jedoch mit Schnellschüssen torpedieren und verschärfen,
erreichen wir nicht mehr Sicherheit. Denn letztlich schützen wir uns genau
dadurch vor diesen Jugendlichen, dass wir ihnen beibringen, nicht kriminell zu
sein.